Die Gretchenfrage

Obwohl es während der heißen Wahlkampfphase hierzulande eher ruhig um die Studiengebührendiskussion geworden ist, steht die Entscheidung für oder wider das Bezahlstudium noch immer aus.

Zwar äußerte der amtierende sächsische Wissenschaftsminister Matthias Rößler (CDU) noch kurz vor der Landtagswahl, daß Studiengebühren „derzeit kein Thema und auch nicht in Planung“ seien, jedoch ist gerade die Bildungspolitik und mit ihr die Gebührenfrage einer der wesentlichen Streit- und Knackpunkte der laufenden Koalitionsverhandlungen. Die SPD in Sachsen lehnt, so ist im Wahlprogramm nachzulesen, Studiengebühren „in jeglicher Form“ ab, während laut dem neu gewählten Landtagsabgeordneten Alexander Kraus (CDU) die Tendenz in der Union ganz eindeutig in Richtung Studiengebühren geht. Auch steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Klage von sechs unionsgeführten Ländern, darunter auch Sachsen, gegen das bundeseinheitliche Verbot von Studiengebühren aus.

Zur Entscheidung der obersten Richter in den roten Roben steht am 9. November die sechste Novelle des Hochschulrahmengesetzes, die seit 2002 die Einführung von allgemeinen Studiengebühren ab dem ersten Semester in ganz Deutschland zwar verbietet, jedoch „in besonderen Fällen“ den Ländergesetzgebern Spielräume läßt. Die Länder lehnen die Regelung als Eingriff in ihre Gesetzgebungskompetenz ab.

Die vorhandenen Spielräume hat beispielsweise das Land Nordrhein-Westfahlen bereits genutzt. Dort sind hohe Studiengebühren für Langzeit- und Zweitstudierende seit dem Sommersemester 2004 bereits Realität. Das von der dort regierenden rot-grünen Koalition 2003 verabschiedete „Gesetz zur Einführung von Studienkonten und Erhebung von Hochschulgebühren“ (StKFG) hat bereits nach einem Semester weitreichende Folgen.

Das Gesetz stattet jeden Studierenden – auch rückwirkend – mit einem Studienkonto aus, auf dem zu Studienbeginn 200 Semesterwochenstunden (SWS) gutgeschrieben sind. Diese 200 SWS werden jedes Semester, je nach Studium, so reduziert, daß nach Ablauf der anderthalbfachen Regelstudienzeit keine SWS mehr übrig sind. Hat ein Student seine Ausbildung zu diesem Zeitpunkt nicht beendet, so wird eine Gebühr von 600 Euro für jedes weitere Semester fällig. Diese Regelung soll die Zahl der Langzeitstudenten verringern und die bundesdurchschnittliche Studienzeit von 5,8 Jahren zumindest in NRW verkürzen.

Dabei trifft, laut dem überparteilichen „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS), einem Zusammenschluß von verschiedenen überregionalen Studentenvertretungen, Hochschulgruppen und anderen Organisationen, dieses Gesetz allein an der Universität Köln beinahe ein Drittel der Studierenden.

Die Folgen des Gesetzes zeigten sich nun zu Beginn des neuen Wintersemesters. Obwohl sich die Zahl der Absolventen nicht merklich verändert hat, ging die Gesamtzahl der Studierenden in NRW drastisch zurück. Der Westdeutsche Rundfunk vermeldete Anfang Oktober 70000 bis 80000 vorzeitige Studienabbrecher in NRW, davon allein 12000 an der Universität Köln. Damit ging die Zahl der Studierenden landesweit um rund 15 Prozent, an der Uni Köln sogar um knapp über 20 Prozent zurück. Was die zuständige nordrhein-westfählische Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft als gewolltes Verschwinden von „Karteileichen“ begrüßt, sieht Klemens Himpele, Geschäftsführer des ABS, als „bildungs- und sozialpolitische Katastrophe“.

Vor allem die Ausnahme- und Übergangsregelungen haben zu einer Klagewelle vor den nordrhein-westfählischen Gerichten geführt. So sieht das Gesetz eine Orientierungsphase von zwei Semestern im Studium vor, nach der ein Studienwechsel ohne Anrechnung des ersten Studiums möglich ist – nicht jedoch wenn ein solcher Wechsel in der Vergangenheit stattgefunden hat. Das Verwaltungsgericht Köln hob die Gebührenbescheide zweier Klägerinnen mit dem Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes bereits im April auf. Das Berufungsverfahren ist jedoch noch anhängig.

In einem weiteren Fall äußerte das Verwaltungsgericht mit derselben Begründung erhebliche Zweifel, ob die Restguthaben von Studenten, die rasch ihren Abschluß gemacht haben, nur für die beim Zweitstudium gutgeschrieben werden, die ab dem Sommersemester 2004 ihr Erststudium beendeten. Das Gericht entschied jedoch auf Grund einer fehlenden Stellungnahme des Wissenschaftsministeriums bis heute nicht.

Abgewiesen hat das Kölner Verwaltungsgericht jedoch die Klage einer vierfachen Mutter, die nach langer Studienpause einen erneuten Anlauf zum Studium machen wollte. Das Gericht bestätigte die Anrechenzeit von vier Semestern pro Kind als ausreichend. Der Fall wird nun in zweiter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht neu verhandelt.

Ein ganz ähnliches Bild bietet sich in Hessen. Die dortige CDU-Landesregierung hat ebenfalls zum Sommersemester 2004 ein Gesetz zur Erhebung von Gebühren für Langzeitstudenten beschlossen. Wer an einer hessischen Hochschule die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreitet, den erwartet eine gestaffelte Studiengebühr von 500 Euro für das erste, 700 für das zweite und 900 Euro ab dem dritten Semester der Überschreitung. Landesweit führten diese Gebühren im Durchschnitt zu einem Rückgang der Studierendenzahlen um mehr als 15 Prozent. Spitzenreiter dabei ist die Universität Frankfurt, die mit 6500 Studenten circa 17 Prozent ihrer Studierenden verlor.

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