Von Tränen und Sekt

Bei der CDU in Dresden gibt es keine Wahlparty. Die Landesgeschäftsstelle lädt statt dessen zur „Wahlauswertung“ ein. Vielleicht geht es deswegen am Sonntagabend eher ruhig in der Lortzinger Straße 35 zu. Die erste Hochrechnung um viertel nach sechs wird mit stiller Spannung erwartet. Vorher noch ein paar Häppchen – dann der Blick zum Fernseher. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt verzieht keine sichtliche Miene, als er die ersten Ergebnisse zu sehen bekommt. Aber ein kleines Lächeln umspielt seinen Mund. „Die CDU hat gut abgeschnitten. Da freue ich mich. Aber enttäuschend ist das Ergebnis der FDP. Die Streitigkeiten um Möllemann haben sicherlich dazu beigetragen“, so Milbradts erstes Statement. Dann heißt es abwarten und zittern. Und schnell den FDP-Anstecker mit 18% vom Kragen nehmen und in die Tasche stecken. „Den können wir jetzt wohl streichen“, sagt Hermann Winkler, CDU-Generalsekretär. Man nimmt es mit Humor. Und bricht zum Finanzministerium auf, um den nächsten Hochrechnungen entgegen zu fiebern.

Bei den Grünen geht es schon lauter zu. Im Café Neustadt steigt eine feucht-fröhliche Wahlparty und mittendrin Johannes Lichdi, Bundestagskandidat der Grünen für Dresden und Meißen. Lautstarker Jubel über das Ergebnis für die Grünen. Der Boden bebt. „Wir freuen uns unglaublich. Dass wir so gut abschneiden, damit hat niemand gerechnet. Aber wir waren eben einig und haben nicht nur vorgespielt, einig zu sein“, so Lichdis Erklärung für das Ergebnis. Am größten die Freude darüber, dass die FDP abgehängt wurde. Aber eben auch Bedauern über den Einbruch der SPD. „Wir gehen einfach mal davon aus, das Rot-Grün doch noch klappt. Eine große Koalition wäre wirklich eine Katastrophe. Viele unserer Erfolge in Richtung erneuerbare Energien wärden dann sicher gefährdet“, so Lichdi. Aber von diesen Zukunftssorgen lässt man sich die Partystimmung an so einem Abend nicht verderben.

Weltuntergangsstimmung herrschte im „Zeitgeist“. Leise spielten Musiker traurige Musik. Es ist 17:45 Uhr – noch vor der ersten Prognose. Auf der Wahlparty der PDS herrscht große Anspannung. Das Zittern der Partei um den Wiedereinzug in den Bundestag liegt spürbar in der Luft. Christine Ostrowski, Spitzenkandidatin der PDS in Dresden, raucht eine Zigarette nach der anderen. Knapp zehn Minuten vor Bekanntgabe der ersten Prognose zittert sie bereits vor Nervosität. „Ich hoffe, dass wir es schaffen. Aber realistisch gesehen halte ich es für unwahrscheinlich“, so die Spitzenkandidatin. „Ob wir es über die Direktmandate schaffen? Ich glaube eher nicht!“ Resigniert hat die PDS-Spitzenfrau aber noch nicht. „Selbst wenn das eine Niederlage wird, dann müssen wir alles versuchen, daraus beim nächsten Mal einen Sieg für uns zu machen.“

Eine Niederlage wurde es dann auch. Eine herbe. Punkt 18 Uhr, bei der Bekanntgabe der ersten Prognose herrscht Totenstille. Mit 4% ist die PDS weit vom Sprung über die 5%-Hürde entfernt. Auch bei den Direktkandidaten sieht es schlecht aus. Christine Ostrowskis Prognose könnte stimmen. Viele der Gäste trifft das Ergebnis tief und die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Einige junge Wahlkämpfer weinen vor Verzweiflung – all ihre Anstrengungen umsonst? Auch nach der ersten Hochrechnung sieht es nicht besser aus. Der Abstand zu den rettenden 5% ist einfach zu groß. Nur 15 Minuten nach den ersten Ergebnissen reicht es Christine Ostrowski. Sie geht.

Gedrückte Stimmung herrscht anfangs auch bei der FDP. Die erhofften 18% haben sie nicht, nicht einmal acht, oder zehn. Bei Ananashähnchen und Cocktails mag aber im „New California“ nicht so die rechte Katerstimmung aufkommen. Mit lautem Gejohle, Buhrufen und Applaus kommentieren Jungliberale vor dem Großbildschirm die Auftritte der Spitzen der anderen Parteien. Wahlkampf ist nunmal kein fairer Sport. Während Claudia Roth von den Grünen „Pfui“ und „Buh“-Rufe erntet, ist Applaus zu hören, als Guido Westerwelle verkündet, man habe Möllemann den Rücktritt nahegelegt. Arno Schmidt, FDP-Kreisvorsitzender hat eine Wette für die Parteifreunde: „Ich wette, dass die SPD sich von den 2 PDSlern tolerieren lässt, wenn es sonst nicht reicht.“

Ralf Heselig ist noch besserer Laune als seine Parteifreunde. Er sitzt gespannt vor dem Laptop und kontrolliert die Ergebnisse der Landes-FDP. „Wir sind weit über dem FDP-Bundesdurchschnitt. Wenn alles gut läuft, bekommen wir sogar noch drei Mandate für die Landesliste!“ Das gibt ihnen Hoffnung für die Landtagswahl 2004. Bei der letzten hatte die FDP weit unter der 5%-Hürde gelegen, jetzt liegt sie landesweit bei 7%. „Möllemann hat uns da sehr geholfen. Ohne ihn hätten wir uns jetzt über 3% gefreut“, so Ralf Heselig. Auch die erste Debatte über Friedmann fand er in Ordnung. Nur die zweite, jetzt vor der Wahl, die habe geschadet. Dafür müsse Möllemann Konsequenzen ziehen. Zurücktreten nicht unbedingt, aber Konsequenzen ziehen. Wie die dann unbedingt aussehen werden, dazu sagt Ralf Heselig nichts.

Bei der SPD in der Könneritzstraße war auch zu später Stunde noch volles Haus. Wegen des knappen Wahlausganges hat sich bis tief in die Nacht auch hier die Spannung gehalten. Gegen 23.15 Uhr laufen die Fernseher immer noch und die Genossen feiern jede neue Hochrechnung, die sie knapp vorne sieht. Man diskutiert und rechnet sich in trauter Runde Chancen aus, während einige JUSOs den Abend mit Sekt aus Plastikbechern begießen. Die Stimmung ist schon lange nicht mehr so gespannt, wie um 18 Uhr, aber den Wahlkämpfern wird wohl auch noch eine lange Nacht bevorstehen.

In Freiberg musste unterdessen am Sonntagabend eine Wahlparty der CDU wegen einer Bombendrohung unterbrochen werden. Das Gebäude wurde von der Polizei evakuiert.

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